Natürliche Konsequenzen: weniger Erziehungsstress – wertvolle Lernerfahrungen für Kinder

Und was Konfuzius damit zu tun hat 😉

Manchmal reden wir Eltern uns den Mund fusselig. “Hol bitte deine Schuhe rein, wenn es nachher regnen sollte, hast du morgen nasse Schuhe”, “Häng doch bitte deine nasse Badehose auf den Wäscheständer, sonst ist sie bis morgen nicht trocken.”, „Zieh deine Jacke an, es ist kalt draußen“, „Binde die Schnürsenkel zu, sonst stolperst du“, “Steh jetzt endlich auf, sonst verpasst du den Bus und kommst zu spät zur Schule”… Und wir wiederholen und wiederholen und wiederholen – tagtäglich. Ohne dass sich irgendetwas ändert. Schlecht gelaunt und schimpfend holen wir die Schuhe dann irgendwann doch selbst rein, hängen die Badehose auf und wecken das Kind 10 mal bis es endlich aufsteht. Die Familienharmonie leidet darunter – erst nur kurzfristig, je älter die Kinder werden, auch langfristig, weil wir Eltern das Gefühl haben für alles verantwortlich zu sein und keine Unterstützung zu erhalten.

Erfahrung ist der beste Lehrmeister

Ein möglicher Grund für dieses für uns inakzeptable Verhalten liegt darin, dass Kinder – vor allem kleine Kinder – zu wenig informiert sind. Wir leben in einer ziemlich komplexen Welt und Kinder müssen sich darin erstmal zurechtfinden und sich das Wissen aneignen, welches wir Erwachsene schon aufgrund unseres Alters haben. Und in diesem Zusammenhang finde ich diesen Spruch von Konfuzius sehr passend:

„Sage es mir, und ich werde es vergessen. Zeige es mir, und ich werde es vielleicht behalten. Lass es mich tun, und ich werde es können.“

Oft reicht es eben nicht, wenn wir unseren Kindern nur von Dingen erzählensie müssen sie erfahren. Sie erhalten also die notwendigen Informationen oft erst, indem sie die natürlichen Konsequenzen (auch natürliche Folgen genannt) ihrer Handlungen selbst erleben. Sie spüren dann, wie unangenehm eine nasse Badehose am nächsten Tag ist, oder dass man die nassen Schuhe am nächsten Tag wirklich nicht anziehen kann.

Natürliche vs. logische Konsequenz

Ein Hinweis: Ich spreche hier wirklich von natürlichen und nicht von logischen Konsequenzen. Für mich sind natürliche Konsequenzen Dinge, die von selbst eintreffen werden. Eine logische Konsequenz ist für mich eine Konsequenz, die von Eltern festgelegt wird und für mich meist gleichbedeutend mit einer Strafe. Beispiele zur Verdeutlichung von natürlichen Konsequenzen: rennt ein Kind auf die Autobahn, kommt es relativ wahrscheinlich zu einem Unfall mit lebensgefährlichen Verletzungen. Wenn ein Kind beim Fahrradfahren nicht nach vorne schaut, ist die Wahrscheinlichkeit für einen Unfall hoch. Wenn wir uns nicht beeilen, dann fährt der Zug weg.
Bei (lebens-)gefährlichen natürlichen Konsequenzen würde ich den Spruch von Konfuzius übrigens nicht anwenden 😉 Bevor mein Kind auf die Straße läuft und überfahren wird – obwohl ich ihm schon gefühlt 100 mal erklärt habe, dass das gefährlich ist, würde ich ihn diese Erfahrung lieber trotzdem nicht machen lassen. 😉
Beispiele für logische Konsequenzen: „Wenn du weiter mit dem Essen spielst, bist du wohl satt und ich nehme dir den Teller weg“, „Wenn du deine Zähne nicht putzt, dann bekommst du heute keine Süßigkeiten“, Wenn dein Zimmer nicht aufgeräumt ist, dann komme ich nicht zum Spielen in dein Zimmer“.

Wie lösen wir das nun?

Zurück zu den Schuhen, die ja noch draußen stehen oder dem Kind, das wir 10 Mal wecken müssen bevor es endlich aufsteht. Wie könnten wir solche oder ähnliche Situation lösen?

Fangen wir mit den Schuhen an:
Wir können unser Kind einmal freundlich und achtsam darauf hinweisen, dass es noch die Schuhe reinräumen soll, damit sie nicht nass werden. Also bitte nicht einfach rufen, sondern Augenkontakt aufbauen, das Kind vielleicht sogar berühren und mit freundlichem Blick und freundlicher Stimme darauf hinweisen. Es kann sein, dass das Kind dann am Abend die Schuhe noch vor dem Regen reinräumt. Es kann aber auch nicht sein – der wahrscheinlichere Fall 😉
Und dann beginnt der schwierige Teil – vor allem für uns Mamas: nein, wir erinnern das Kind nicht noch einmal daran und nein, wir werden die Schuhe auch nicht selbst reinstellen. Auch nicht, wenn wir den Regen schon hören. Beißt euch notfalls auf die Zunge und fesselt eure Hände… 😉

Und am nächsten Morgen? Beginnt der noch schwierigere Teil 😉 Wenn die Kinder die Schuhe suchen und dann feststellen, dass sie noch draußen stehen, nass sind und nicht angezogen werden können. Vielleicht schimpft eurer Kind, vielleicht jammert es, vielleicht beschuldigt es dich als Mama oder Papa. Und jetzt sagen wir nicht besserwisserisch: “Das habe ich dir doch gleich gesagt” oder “Siehst du, das hast du jetzt davon”. Das bringt keinen weiter, Euer Kind fühlt sich als Verlierer, ihr stellt es damit bloß und sehr wahrscheinlich wird euer Kind jetzt erst recht wütend. Und meiner Meinung nach ist dann auch der Lerneffekt dahin, weil aus einer natürlichen Konsequenz durch unser Verhalten eine gefühlte Strafe wurde und all die Energie, die für die Lernerfahrung nötig wäre, in die Wut auf die Eltern verpufft (denn Strafen machen wütend).
Also bleibt ihr einfach ruhig und gelassen, versucht mit eurem Kind mitzufühlen und akzeptiert alle Gefühle (auch Wut und Weinen). Immer mit dem Wissen im Hinterkopf, dass es gerade eine wertvolle Lernerfahrung macht.

Weiter geht es mit dem Kind, das man 10 mal wecken muss, bevor es aufsteht.
Hier sprechen wir mit dem Kind achtsam und freundlich und weisen es darauf hin, dass wir es ab jetzt jeden Morgen nur noch einmal wecken werden. Und dann nicht mehr. Seid sicher, dass euer Kind auch richtig verstanden hat und formuliert es bitte aufmunternd und ermutigend und nicht drohend. Und am nächsten Morgen weckt ihr euer Kind genau einmal und widersteht der Versuchung, es weitere Male zu wecken oder extra laut vor der Schlafzimmertür zu sein. Wenn es dann zu spät aufsteht und der Bus schon weg ist, dann würde ich das Kind auch nicht zur Schule fahren, damit es noch pünktlich kommt. Und auch hier gilt wie oben: keine besserwisserischen Sprüche.

Muss ich mein Kind nicht vor allen unangenehmen Konsequenzen schützen?

Aber muss ich mein Kind nicht vor solchen unangenehmen Konsequenzen schützen? Jein 😉 Natürlich wird es Situationen geben (s.o. mit der Autobahn), in denen wir unsere Kinder beschützen müssen, weil die natürliche Konsequenz sonst zu unangenehm oder gefährlich ist. Manche natürlichen Konsequenzen liegen auch zu sehr in der Zukunft, wie z.B. dass man sehr wahrscheinlich Karies bekommt, wenn man keine Zähne putzt (oder doch nicht?). Dieses Vorausschauen überfordert Kinder so lange, bis sie eine gewisse Reife erreicht haben. Und manchmal können wir unsere Kinder gar nicht beschützen: diese Erfahrung haben wir z.B. bei unserem Jüngsten gemacht, der mit dem Fahrrad  immer extrem weit rechts fährt. Wir haben ihm gefühlt 1000 mal gesagt, er soll mehr in der Mitte fahren, wir haben uns echt den Mund fusselig geredet. Und dann ist es passiert – bergab in Höchstgeschwindigkeit ist er gestürzt, weil er auf einem Feldweg so weit rechts gefahren ist – in die Straßenkante. Er hatte Glück im Unglück – eine geprellte Hüfte – mehr nicht.

Wenn wir aber der Meinung sind, dass das Ergebnis der unangenehmen Erfahrung ein wichtiger Lernschritt ist, dann spricht meiner Meinung nach überhaupt nichts dagegen, unser Kind auch unangenehme Erfahrung machen zu lassen. Es ist für unsere Kinder ja nicht schlimm, einmal zu spät zur Schule zu kommen oder einen Tag nasse Schuhe zu haben. Vielmehr könnte man doch sagen:

Wir erlauben unseren Kindern eigene Erfahrung zu machen und daraus zu lernen. Wir übertragen damit auch eine gewisse Verantwortung auf die Kinder, die – sofern wir sie damit nicht überfordern (Alter der Kinder beachten) – auch den Selbstwert des Kindes steigern wird, weil wir ihnen ja etwas zutrauen!

Und gleichzeitig entlasten wir uns als Eltern, weil wir plötzlich nicht mehr für alles verantwortlich sind. Und unsere Schimpf- und Meckerzeit wird sich drastisch reduzieren und damit die Familienstimmung besser.

Viel Spaß beim Ausprobieren!

Von Published On: 17. Mai 2019

About the Author: KIKI

Dr. Nicole Kikillus
KIKI ist die Kapitänin der Glücksknirpse. Bevor sie „in See stach“, war sie Dr.-Ingenieur für Elektrotechnik. Jetzt steht ihre Familie über allem - und die Glücksknirpse. Sie liebt den Geschmack der Freiheit - und hasst den von Ungerechtigkeit. Zusammen mit Christian hält sie das Projekt auf Kurs, spinnt ständig an neuen Ideen dafür - und setzt diese auch um, egal ob als Autorin, Interviewende, Kursleiterin, Eventmanagerin uvm. Wenn sie sich bei den Glücksknirpsen auf ein Thema festlegen müsste, wäre das wahrscheinlich das, was wir Glücksknirpse-Parenting nennen: eine bedingungslose, liebevolle und einfühlsame „Erziehung“ zu freien, entspannten, glücklichen & gesunden Menschen. Wenn Du KIKI ärgern möchtest, sage zu ihr einfach, dass Kinder Strafen brauchen - aber nimm Dich vor ihrer Reaktion in Acht 😉
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