Gelassen “erziehen” – Achtsame Eltern, glückliche Kinder

Ein Interview mit dem Achtsamkeitslehrer Lienhard Valentin

Im folgenden Interview findest Du Antworten auf die Frage, wie wir Eltern gelassen “erziehen” können. Um es vorwegzunehmen: Der Schlüssel zu mehr Gelassenheit lautet Achtsamkeit. Warum und wie erzählt Dir der bekannte Achtsamkeitslehrer Lienhard Valentin im Interview. Das Interview haben wir übrigens im Rahmen unseres Kinder-Gesundheitskongress 2015 geführt, weil wir selbst in unserer Familie so gute Erfahrungen gemacht haben mit Achtsamkeit. Jetzt gibt es das Interview endlich auch in Textform…

Christian: Ich begrüße ganz herzlich unseren heutigen Experten, Herrn Lienhard Valentin. Herr Valentin, vielen Dank dass Sie dabei sind.

Lienhard Valentin: Hallo Guten Tag. Auch vielen Dank von meiner Seite.

Christian: Herr Valentin, Sie sind Achtsamkeitslehrer, Gestaltpädagoge und Buchautor. Was ein Buchautor ist weiß jeder. Aber was genau ist ein Achtsamkeitslehrer und vor allem: was ist ein Gestaltpädagoge?

Lienhard Valentin: Ein Achtsamkeitslehrer ist ein Lehrer, der die Praxis der Achtsamkeit vermittelt. Worum es bei dem Thema geht, kommen wir sicher gleich noch zu sprechen.
Ein Gestaltpädagoge ist etwas abgewandelt ein Nebenzweig der Gestalttherapie. Es ist eine Pädagogik, bei der es nicht so sehr darum geht, ein Kind nach unserem Bild zu formen, sondern mehr Möglichkeiten zu schaffen, so dass sozusagen sein innerer Bauplan der Seele, wie Maria Montessori das genannt hat, sich entfalten kann. Im Prinzip ist es ähnlich. Nur andere Fragen und die Gestaltpsychologie war ja eine Wahrnehmungspsychologie. Das Ganze dreht sich darum: Wie können wir Bedingungen schaffen, die so gut wie möglich Wachstum und Lernen ermöglichen?

Christian: OK vielen Dank. Dann haben Sie den Arbor Verlag, die gemeinnützige Abor Seminare gGmbH und den Verein Mit Kindern wachsen – mit der gleichnamigen Zeitschrift – gegründet. Ihr Arbeitsschwerpunkt ist die Integration von Achtsamkeit und Mitgefühl in das tägliche Leben mit Kindern. Hierum geht es auch in diesem Interview. Ihr Buch, „Die Kunst, gelassen zu erziehen – Achtsamkeit im Leben mit Kindern“ sagt schon alles. Genau darum wird es heute gehen. Sie haben aber auch noch ein anderes Buch mit dem Titel „Achtsame Eltern, glückliche Kinder“ geschrieben. Und wenn ich diese beiden Buchtitel lese, dann bedeutet das für mich, dass, wenn ich achtsam bin, das automatisch zu Glück und Gelassenheit führen muss.

[Update: Mittlerweile hat Lienhard gemeinsam mit uns den gleichnamigen Onlinekurs Mit Kindern wachsen – Die Kunst, gelassen & empathisch zu “erziehen” entwickelt.]

Lienhard Valentin: Das wäre etwas viel versprochen. Achtsamkeit schafft gute Bedingungen. Ich würde am ehesten sagen, es verhilft uns mehr in unser inneres Gleichgewicht zu kommen und eben auch mit schwierigen Situationen dann besser umzugehen. Also Glück nicht in dem Sinne, dass dauernd High Life und alles Sonnenschein ist, sondern mehr in Form der inneren Zufriedenheit, die daraus entsteht, dass man mit sich im Einklang ist. Das kann aber auch durchaus in einer traurigen Situation oder einer schwierigen sein. Manchmal wird Glück eher so verstanden, dass man sozusagen immer nur mit breiten Grinsen durch die Welt geht. Das ist damit weniger gemeint.

Christian: Was genau ist Achtsamkeit? Was verstehen sie darunter?

Lienhard Valentin: Darüber diskutieren die Fachleute schon seit langem. Der Begriff geht eigentlich zurück auf eine Übersetzung des Wortes Sati aus dem Pali, weil die Praxis der Achtsamkeit vor allem im Buddhismus entwickelt wurde. Man könnte das Wort mit Selbsterinnerung übersetzen, was mir fast noch besser gefällt als das Wort Achtsamkeit. Im Englischen ist es Mindfulness. Die Definition von Achtsamkeit, die ich gerne mag ist: Es ist eine liebevolle, nicht urteilende Präsenz im gegenwärtigen Moment.

Christian: Liebevoll und nicht urteilend.

Lienhard Valentin: Nicht urteilend, wobei damit gemeint ist, dass man nicht spontan seinem automatischen Urteil folgt, sondern sich erst einmal Zeit lässt genauer hinzugucken, um zu schauen, was denn wirklich los ist.

Ein Leitsatz in der Achtsamkeitspraxis heißt: „Glaube nicht alles, was du denkst.“ Bei uns ist sehr schnell der Kopf dabei, eine Situation zu interpretieren und wenn wir diese Interpretation sofort glauben, z.B. dieses Kind ist schwierig, weil es das gemacht hat oder jenes, dann reagieren wir eigentlich nur auf unsere Interpretation, die vielleicht aber mit der tatsächlichen Situation gar nichts zu tun hat. Ein Aspekt der Achtsamkeit ist somit, dass man bevor man handelt, innehält und genauer hinschaut: „was ist denn hier eigentlich wirklich los?“ und die automatische Reaktion vermeidet.

[Update: Mehr Infos zur Achtsamkeit findest Du auch in unserem 2. Interview mit Lienhard: Abenteuer Achtsamkeit!]

Webinartipp: Freiheit & Grenzen

Wenn Dir das Interview gefallen hat, empfehlen wir Dir die Aufzeichnung unseres beliebten Webinars “Achtsam & liebevoll Grenzen setzen & Freiheit geben” – auch mit Lienhard Valentin!

>> Zur Webinar-Aufzeichnung <<

Natürlich geht es auch hierin um Achtsamkeit – mit dem Fokus darauf, wie wir als Eltern achtsam Grenzen setzen können ohne dabei unsere Kinder in ihrer Entwicklung zu behindern, ohne zu viele Neins und ohne laufend Konflikte zu provozieren.

Christian: Wie führt mich das jetzt zur Gelassenheit? Wenn ich jetzt meine Gedanken sehe und nicht gleich handele? Wie werde ich da gelassener? Wie kann ich mir das vorstellen?

Lienhard Valentin: Ich denke, dass das Verständnis eher durch Erfahrung wächst. Gelassenheit ist in dem Fall ein innerer Zustand, bei dem ich nicht sofort automatisch reagiere, sondern etwas mehr inneren Raum habe, so dass ich verschiedene Möglichkeiten, zwischen denen ich abwägen kann, habe. Ich überlege, was ist denn jetzt der nächste sinnvolle Schritt, um auf diese Situation zu antworten, statt automatisch zu reagieren.

Wenn ich im Stress bin, dann ist ja mein innerer Raum immer in einer gewissen Enge und ich neige dazu vorschnell auch zu reagieren. Dann tut es mir vielleicht hinterher leid. Die Praxis der Achtsamkeit kann eben helfen, dass ich gelassener bin. Es ist aber nicht ein „wenn ich das mache, passiert das“, sondern es ist eher „wenn ich diese Praxis mache, dann schaffe ich Bedingungen, so dass die Wahrscheinlichkeit größer ist, dass dieser Zustand eintritt“. Aber ob ich gelassen bin, hängt ja mit ganz vielen Punkten zusammen: wie z.B. die äußeren Stressfaktoren, die Lebenssituation, die Veranlagung usw. Zu dieser Praxis gehört, dass ich anfange zu schauen, wo sind meine Schwachpunkte? Was für Ressourcen brauche ich, damit ich nicht ständig am Limit laufe, weil je stärker mein Stressfaktor ist, desto weniger inneren Raum habe ich und desto weniger gelassen bin ich.

Christian: Es hat also auch viel mit Stress zu tun. Was ist das Ziel der Achtsamkeit? Wenn ich als Papa mir die Mühe mache, mich mit der Achtsamkeitspraxis zu beschäftigen, was habe ich davon? Was hat meine Familie davon? Was wird da in der Familie passieren? Ich geh dann anders mit den Dingen und vor allem mit den Kindern um?

Lienhard Valentin: Ich glaube mit so einem Automatismus wäre ich jetzt vorsichtig. Insgesamt ist ja klar, dass es gut ist, wenn ich präsenter bin. Wenn Sie nach Hause kommen und haben den Kopf noch voller Arbeit, dann sagt irgendwann ihre Frau „Hallo, ist jemand zu Hause“? Also wir sind ja selten wirklich da, wo wir wirklich sind. Wir sind meistens in den Gedanken woanders. In der Vergangenheit oder in der Zukunft, machen uns Sorgen. Das heißt, wir sind gar nicht wirklich da. Wir sind nicht in Kontakt. Wir können aber nur dann auf ein Kind angemessen eingehen und auch mit einem Partner wirklich in Kontakt sein, wenn wir wirklich da sind, wenn wir präsent sind und nicht in Gedanken verloren.

Ein Bild, was ich gerne verwende ist folgendes: der Mensch heutzutage steht morgens auf oder der Wecker klingelt, dann liegt vielleicht der Körper noch im Bett, aber der Kopf fängt schon an, darüber nachzudenken, was alles zu tun ist und ähnliches. Er schleppt sich dann zur Dusche und hält dort eine Konferenz mit Menschen, die er nicht mit unter die Dusche nehmen würde. Er spürt aber gar nicht das warme Wasser, den Strahl – wir sind nicht mehr so in Verbindung mit unserem konkreten Erleben. Das führt einmal zu einer chronischen Unzufriedenheit, weil wir nie wirklich da sind und natürlich spüren auch die Kinder uns nicht. Wenn wir nicht wirklich in Kontakt sind, können wir auch sie nicht wirklich sehen und können nicht wirklich auf sie eingehen.

Insofern ist diese Praxis eher was Indirektes, d.h. wir werden präsenter und dadurch steigt unser Einfühlungsvermögen in uns selbst. Wir spüren mehr: was brauche ich eigentlich, dass ich auch für meine Partnerin oder meinen Partner und meine Kinder da sein kann. Wenn ich mehr in Kontakt bin, kann ich mich auch besser einfühlen und sehen, was eigentlich wirklich bei den Kindern los ist. Insofern ist es etwas Indirektes und die Erfahrung zeigt, dass wir eben mit schwierigen Situationen besser umgehen können. Wir reagieren nicht so schnell automatisch oder emotional. Oft bringen ja Kinder in uns Gefühle hervor, von denen wir vorher noch keine Ahnung hatten – sowohl positive als auch schwierige.

Ich finde das schönste Bild für Achtsamkeitspraxis ist eigentlich das Bild surfen zu lernen. Wir können die Wellen, die das Leben uns bringt, nicht stoppen und nicht kontrollieren. Aber wir können lernen auf ihnen zu surfen, so dass wir nicht so schnell umgeworfen werden. Und das hat natürlich viele Folgen. Wie uns das gelingt ist individuell natürlich sehr unterschiedlich. Auch welche Methoden jemandem jetzt gerade besonders helfen, kann sehr unterschiedlich sein. Es ist uns in unseren Ausbildungen sehr wichtig zu sagen, dass es nicht die eine richtige Methode gibt, sondern dass letztlich jeder selbst herausfinden muss, was das ist, was er braucht, so dass es ihn innerlich stärkt, so dass er dann präsenter sein kann. Dafür gibt es dann eine reichhaltige Auswahl.

Christian: Sie haben es jetzt schon mehrfach gesagt. Wir sind meistens irgendwie in Gedanken. Ich liege morgens im Bett, aber mein Geist ist schon ganz woanders. Sie haben das in Ihrem Buch so treffend als Autopilot bezeichnet. Wie komme ich aus diesem Autopiloten dann konkret heraus? Was muss ich tun? Was ist meine Aufgabe?

Lienhard Valentin: Da gibt es einmal eine formelle Achtsamkeitspraxis und eine informelle Achtsamkeitspraxis. Formell sind zum Beispiel Meditationsformen, wenn ich merke, dass mein Geist wieder irgendwo auf Wanderschaft ist, dann hole ich ihn einfach wieder zurück zu etwas Konkretem. Ich verankere mich immer wieder in meinem konkreten Erleben im gegenwärtigen Moment. Das kann der Atem sein, das kann eine Körperempfindung sein und das kann ich formell üben. Da gibt es inzwischen auch reichhaltige Forschungen mit Gehirnscannern, die zeigen, dass das schon innerhalb weniger Wochen dazu führt, dass wir deutlich besser mit Stress umgehen können und auch achtsamer werden.

Für mich noch interessanter ist aber die informelle Praxis, d.h. wie ich im Alltag immer wieder zurückkommen kann. Da ist gerade das Leben mit kleinen Kindern eine ideale Bedingung, wenn ich z.B. beim Stillen wirklich in Kontakt und präsent bin. Ich mache das Wickeln nicht ganz automatisch, damit es schnell vorbei ist und ich hinterher Zeit hab, sondern ich bin während des Wickelns so einfühlsam, dass es für Erwachsene und Kinder eine gemeinsame Freude ist, eine Interaktion, die man gemeinsam macht. Ich bin in so vielen Aktivitäten wie möglich tatsächlich präsent.

Es gibt eine Studie, bei der Personen immer wieder Nachrichten auf ihr Handy gekriegt haben mit Fragen wie „Was tun Sie gerade? Wie präsent sind Sie? Wie glücklich sind Sie?“ Das Ergebnis war, dass es für den Grad an Glücksgefühl relativ egal war, was die Leute machen. Je präsenter man ist, desto mehr führt das auch dazu, dass man zufrieden ist.

Wenn man aber immer nur die Dinge macht, um sie dann fertig zu haben, dann sind wir dauerhaft im Stress und das macht chronisch unzufrieden. Letztlich geht es darum, unseren Geist immer wieder zurückzuholen in das, was wir konkret erleben im gegenwärtigen Moment und da ist der Körper ein guter Anker, weil der immer in der Gegenwart ist.

Christian: Ich finde es schwierig sich im Alltag immer wieder zurückzuholen. Ich glaube bei den buddhistischen Mönchen schlägt dann alle halbe Stunde der Gong und wenn wir zurück zum Wickelzimmer kommen, da wird nicht der Gong zu hören sein.

Lienhard Valentin: Spätestens im 2. Lebensjahr schlägt der Gong und zwar, wenn das Kind lernt, dass Sie nicht präsent sind. Dann wird sich das in irgendeiner Form äußern. Vielleicht nicht als Gong, aber durch etwas, was wir dann als Fehlverhalten beurteilen. In Wirklichkeit ist es vielleicht nur der Ruf des Kindes nach mehr Präsenz. Kinder sind eigentlich die besten Achtsamkeitslehrer, die man sich vorstellen kann, weil sie das ständig von uns einfordern. Nur, dass wir das oft falsch interpretieren – vielleicht als ungehorsam. In Wirklichkeit wollen sie einfach nur sagen, „Hallo, ist jemand zu Hause? Ich bin hier, wo bist du eigentlich in Gedanken?“

Christian: Sind diese formellen Übungen  aus Ihrer Sicht eine Voraussetzung, um  überhaupt ein bisschen ein Gefühl dafür zu kriegen und sich geistig umzutrainieren oder kann ich komplett darauf verzichten und trotzdem achtsam zu werden?

Lienhard Valentin: Ich halte nichts davon, sich irgendetwas aufzuerlegen, wo man nicht das Gefühl hat, dass man auch eine gewisse Affinität dazu hat. Also alles was man sich irgendwie auferlegt, weil man denkt, dass man das tun sollte, ist nicht besonders hilfreich. Rick Hanson, ein Neuro-Psychologe, hat das Buch „Das Gehirn eines Buddha“ geschrieben. Er beschreibt das ganz schön. Man könnte die Menschen aufteilen in Schildkröten und flinke Hasen. Also die Schildkröten sind die, die ganz langsam sind und die flinken Hasen, werden heutzutage oft mit ADHS etikettiert, sind aber vielleicht einfach nur anders.

Diese formelle Sitzmeditation ist zu Anfang vielleicht für flinke Hasen nicht so günstig. Zumindest sollten sie nicht so viel machen, sondern lieber mal eine Minute. Junge Mütter haben auch gar nicht die Zeit, sich jeden Tag eine halbe Stunde hinzusetzen und zu meditieren. Von daher öfter mal ein-drei Minuten freundlich bei sich selbst vorbeischauen und zu gucken, „wie geht’s denn gerade“. Das ist eigentlich für mich der wesentlichste Teil der Achtsamkeitspraxis – diese freundliche wohlwollende Haltung sich selbst gegenüber zu entwickeln. Dass wir nicht ständig denken, du solltest jetzt dies und du solltest jenes. Wir werden uns selbst gegenüber wohlwollender und freundlicher.

Wenn uns mal was daneben geht, dann hören die meisten Menschen Stimmen, wo wir sehr streng und hart mit uns selbst sind, wie wir sonst mit niemandem wären wahrscheinlich. Wenn einem Freund oder Freundin ein Missgeschick passiert, wären wir wahrscheinlich sehr einfühlsam und verständnisvoll, aber wenn uns sowas passiert, dann denkst du schon wieder „kein Wunder“ und „du kriegst das nie hin“ und das verstärkt den Stress noch mehr. Die Qualität des freundlichen Umgangs mit uns selbst führt uns eigentlich zu dieser Gelassenheit. Es ist eh schon schwierig und dann sind wir noch hart mit uns. Das macht ja nur noch mehr Druck im Kessel.

Christian (provozierend): Das ist ja total gegen das, was die Gesellschaft uns beibringt. Wie soll ich denn so gut und liebevoll mit mir umgehen? Ich hab‘s ja nicht anders gelernt. Bin ich schlecht in Mathe gibt’s eine 5. Und bin ich nicht schnell genug, gibt’s einen Anpfiff. Jetzt sagen Sie, ich soll genau anders darüber denken und all diese Stimmen vergessen?

Lienhard: Ja, das geht nicht so leicht, sie zu vergessen. Es geht mehr darum, diese wohlwollende mitfühlende Stimme in sich zu finden und diese zu stärken.

In einem Vortrag ist mir mal ein Bild eingefallen. Wie wir eine Situation interpretieren und sehen, hängt ganz stark von unserem inneren Zustand ab. Angenommen es geht mir gut, ich habe gut geschlafen, ich bin entspannt. Sagen wir, ich hab ein 4-jähriges Kind. Das Kind wirft dann aus Versehen das Saftglas um. Dann sage ich „Ups, nichts passiert. Wir wischen es weg. Alles ok.“ Es geht friedlich weiter. Und an einem anderen Tag, ich habe vielleicht drei Tage schlecht geschlafen, bin unter Zeitdruck – eine ziemlich ideale Voraussetzung, um nicht so mitfühlende Teile in uns zu aktivieren. Es passiert genau das Gleiche. Aber ich reagiere völlig anders: „Kannst du nicht besser aufpassen?“

D.h. wie wir reagieren und wie wir die Situation interpretieren hängt von unserem inneren Zustand ab. Und ich habe mal ein Bild dazu entwickelt. Stellen Sie sich vor, dass wir alle sowas sind, wie ein Bus, der sein Lebensweg entlangfährt. In diesem Bus sitzen alle möglichen Wesen und alle möchten den Bus lenken. Da sitzt ein mitfühlender Vater oder Mutter, die die Kinder liebevoll und harmonisch ins Leben begleiten möchte. Dann sitzt aber auch ein Höhlenmensch, dieser kommt von unserem alten Gehirn, der bei Gefahr aktiviert wird. Der hat nur seine Keule und wenn wir uns bedroht fühlen, emotional oder psychisch bedroht, dann denkt der, jetzt bin ich dran. Bedrohung ist mein Gebiet und dann kommt er mit der Keule. Dann sitzt vielleicht noch so ein Hase drin, der bei Gefahr unseren Bus in die Büsche fährt und auch alte Teile aus unserer Kindheit – strenge Teile, ein Antreiber, ein Richter. Alle möchten den Bus gerne fahren und der, der am Steuer sitzt, entscheidet in welche Richtung mein Bus fährt. Wenn ein mitfühlender Teil am Steuer sitzt, fährt der in eine andere Richtung, wenn ich auf eine schwierige Situation komme, als wenn mein Höhlenmensch am Steuer sitzt, weil der hat kein Einfühlungsvermögen.

Wenn wir in einer Stresssituation sind, haben wir keinen Zugang zurEmpathie, die wir eigentlich hätten, weil das im Bedrohungszustand abgeschnitten wird. Dann geht es ums Überleben. Und unser Gehirn hat noch nicht verstanden, dass nicht unser Körper bedroht ist, sondern dass wir uns psychisch bzw. emotional bedroht fühlen. Da sage ich immer gerne: Die von der Natur mitgegebenen Reaktionen fight (angreifen), flight (fliehen) oder freeze (sich tot stellen) helfen vielleicht bei einem Säbelzahntiger, aber nicht, wenn wir uns bedroht fühlen, weil unser 2-jähriges Kind gerade nicht die Stiefel anziehen will und wir haben es eilig. Dann ist weder angreifen noch fliehen noch sich totstellen eine besonders hilfreiche Strategie.

Aber wenn wir im Stress sind, ist unser Organismus aktiviert und dann sind wir gar nicht in der Lage adäquat auf das Kind einzugehen, weil wir abgeschnitten sind. Von daher ist eine einfache Formel für diese Achtsamkeit oder Selbstmitgefühlspraxis für mich, dass wir sozusagen diesen menschlichen Teil, der empathisch sein und innehalten kann, bevor er reagiert, stärken, so dass sie mit der Zeit auch in schwierigen Situationen das Lenkrad in der Hand behalten. Damit der Bus nicht immer je nach zufälliger Stimmung in die oder in jene Richtung fährt, sondern, dass er mehr unseren inneren Werten entsprechend in die Richtung fährt, in die wir auch eigentlich fahren wollen.

Christian: Und wie stärke ich das jetzt? In dem ich mich liebevoll annehme? So wie ich bin, aber wie noch?

Lienhard Valentin: Das ist auch nicht einfach. Ich kann nicht sagen, jetzt nehme ich mich liebevoll an, wie ich bin. Da gibt es sowohl sehr gute Bücher, als auch sehr gute Programme. Psychologen in Amerika haben auch schon sehr viel erforscht und das so genannte „Achtsame Selbstmitgefühl“ entwickelt. Also Christopher Germer hat das Buch „Der achtsame Weg zum Selbstmitgefühl“ geschrieben. Da sind ganz viele praktische Übungen drin und die muss man auch gar nicht alle machen. Man kann einfach raussuchen, was einen anspricht. Auch der schon genannten Rick Hanson, der sich spezialisiert hat, die Ressourcen zu stärken.

Es gibt auch inzwischen Kursleiter, die so genannte 8-Wochen-Programme anbieten, die systematisch aufgebaut sind. D.h. immer an einen Abend in der Woche über 8 Wochen kann man das kennenlernen und ausprobieren. Dann kann man schauen, ob es zu einem passt. Es ist nicht speziell auf Kinder oder Eltern gemünzt, da sind wir gerade bei „Mit Kindern wachsen“ dabei, spezielle Programme zu entwickeln.

Auf der CD in dem Buch „Die Kunst, gelassen zu erziehen“ habe ich auch ein paar Übungen drauf, die speziell aus dem achtsamen Selbstmitgefühlsprogramm abgewandelt sind. Das fast schon Revolutionäre, was Daniel Siegel, der Vater der sogenannten interpersonellen Neurobiologie, herausgefunden hat, ist folgendes: Er kommt aus der Bindungsforschung und als er die Achtsamkeitspraxis kennengelernt hat und die Forschungsergebnisse angeschaut hat, hat er gesagt: das Erstaunliche ist, was sich durch diese Praxis beim Erwachsenen verändert und verbessert hat, sind genau die Bereiche im Gehirn, die sich natürlicherweise beim Kind entwickeln, wenn es eine sichere Eltern-Kind-Bindung hat. Wenn wir diese Sicherheit selbst als Kinder nicht bekommen haben, dann können wir es im Normalfall als Erwachsener verändern und zwar sichtbar im Gehirn. Schon nach 8 Wochen haben sich die Strukturen verändert und man kann nicht mehr unterscheiden, ob es jemand ist, der das natürlicherweise über die Eltern mitbekommen hat oder jemand, der sich das später durch eine Praxis angeeignet hat.

Unser Gehirn ist flexibel. Wir haben diese „Programme“ – wie auf einer inneren Festplatte – die automatisch ablaufen. Wenn mir etwas misslingt, kommt dieser harte Teil, der mich beschimpft. Und der 1. Schritt ist, das überhaupt zu bemerken und nicht automatisch zu glauben, was dieser Kerl erzählt, sondern zu sagen „ok ich hab‘s gehört“. Mit der Zeit können wir dann immer mehr diesen wohlwollenden Teil in uns aktivieren und darum geht’s oft in der Praxis. Damit wir Geistesqualitäten, die günstig sind, wie eben Achtsamkeit, Mitgefühl, Empathie, Dankbarkeit, Zufriedenheit gezielt kultivieren können, so dass sie mehr zu einer Eigenschaft werden und wir nicht zufällig davon abhängig sind, ob wir gerade ausgeschlafen sind oder nicht. Denn es wird immer wieder Situationen geben, die uns vom Surfbrett schmeißen. Das Lernen hört nie auf. Ich werde selbst jetzt auch wieder Vater. Ich bin mir sicher, dass genügend Situationen kommen werden, die auch mich wieder vom Surfbrett schmeißen, aber das gehört dazu. Darum geht es auch gar nicht.

Es geht einfach darum, es Stück für Stück zu lernen und zu entwickeln und das finde ich schon revolutionär, dass wir da nicht unserer Kindheit ausgeliefert sind. Wir können selbst etwas dazu beitragen, bis in die Anatomie unseres Gehirns hinein.

Christian: Ich kann ja auch mal meine Erfahrung wiedergeben. Ich habe mich vor 2 Jahren damit beschäftigt, auch so 8 Wochen mit einem Buch und es hat sich echt innerhalb von wenigen Tagen da oben einiges getan. Da kommt dann der Rentner und pöbelt mich an und anstatt zurück zu pöbeln, wie ich es vielleicht gelernt habe, fange ich jetzt an, mir Gedanken zu machen. „Vielleicht ist es ein armer Kerl“. Dann ist die Empathie plötzlich da und man merkt, dass es auch nicht so viel bringt. Es ändert sich also wirklich so viel. Auch nach der Lektüre ihres Buchs wurde ich wieder zurückgebracht. Am gleichen Nachmittag noch fängt man plötzlich an, anders mit den Kindern umzugehen und sich wirklich einzufühlen.

Also sehr spannend und es funktioniert meiner Ansicht nach auch sehr schnell und was mir sehr geholfen hat, ist, wenn man sich abends hinsetzt und die Erfahrung des Tages ein bisschen aufschreibt. Dann sieht man nämlich wirklich „Oh da hat sich was getan oder hieran möchte ich noch ein bisschen arbeiten“. Das jetzt zu meiner bescheidenen Achtsamkeitserfahrung. Sie haben im Buch geschrieben, man soll sich nicht mit seinen Gedanken identifizieren. Es sind nicht meine Gedanken, sondern es sind Gedanken…

Lienhard Valentin: Man muss nicht alles so persönlich nehmen, was da an Gedanken auftaucht und wir haben als Menschen ja die Freiheit, ob wir auf diese Gedanken reagieren wollen oder nicht. Eine Schwierigkeit, die noch dazukommt, vor allem im Umgang mit Kindern, ist, dass unser Gehirn eine Negativitätstendenz hat. Das heißt, wir haben sehr viel schneller unsere Aufmerksamkeit bei negativen Erfahrungen als bei Positiven. Wenn uns einmal ein Mensch verletzt hat, braucht es ganz viele vertrauensbildende Maßnahmen bis wir uns dem Menschen wieder so öffnen wie vorher. Oder hat man einmal eine negative Erfahrung mit einem Hund gemacht, braucht es ewig bis wir wieder entspannt auf einen Hund zugehen können. Eben weil unser Gehirn uns vor Gefahr beschützen will und das führt dazu, dass wir die schwierigen Situationen mit Kindern sehr stark überbewerten und stärker sehen. Das, was eigentlich schön ist und gut läuft bekommt zu wenig Beachtung.

Rick Hanson sagt: Für unser Gehirn sind negative Erfahrungen wie Kreppband und positive wie Teflon. D.h. die positiven rutschen leicht durch. Also angenommen, Sie hatten 20-30 angenehme bis neutrale positive Erfahrungen mit ihrem Kind am Tag und eine Situation ist daneben gegangen. Mit welcher beschäftigen sie sich am Abend? Und das führt dazu, dass wir oft die Kinder negativ sehen. Das merkt man in den Kursen. Viele kommen immer nur mit den Problemen und die Stärken werden gar nicht gesehen. Wir haben oft als Anfangsübung in den Kursen, dass wir einfach mal gucken, wo habe ich denn freudvolle Situationen mit den Kindern. Man soll nicht so tun, als wäre das Schwierige nicht da, es geht nicht um positives Denken, sondern darum, dass wir die positiven Momente, die auftauchen, auch tatsächlich achtsam wahrnehmen und wirklich registrieren, damit sie hängenbleiben.

Und das kann z.B. abends sein, wenn die Kinder im Bett liegen und schlafen und aussehen wie kleine Engel. Wir setzen uns hin und verbinden uns und ich kann garantieren, dass sich die Familienatmosphäre drastisch verändern wird und viele Probleme von ganz alleine verschwinden – einfach, weil wir die Kinder dann anders sehen.

Sie entwickeln ja ihr Selbstbild danach, wie sie gesehen wurden von den ihnen wichtigen Erwachsenen. Und wenn die wichtigen Erwachsenen immer so gucken als würde etwas nicht stimmen, dann entwickeln wir irgendwann das Gefühl, irgendwas kann mit mir nicht stimmen, ich bin nicht ganz ok. Ohne dass etwas gesagt wird, sondern einfach durch unsere innere Haltung. Und das ist z.B. eine schöne Übung, wenn man nur das macht, denn die schönen Erfahrungen, die sind ja da, man muss ihnen nur ein bisschen mehr Aufmerksamkeit schenken. Dann verändert das wirklich grundlegend die ganze Atmosphäre in der Familie.

Christian: Sie sagen, ich habe, wenn ich achtsam bin und mich beobachte, was ich gerade fühle, mal kurz innehalte bevor ich reagiere, die Möglichkeit anders zu reagieren als ich es üblicherweise tun würde. Dieses Innehalten kann man ja trainieren. Sie haben diese Übung, wo man mit der Familie vereinbart, nicht sofort zu antworten, sondern eine Minute später? Vielleicht können Sie die ganz kurz erläutern. Welche Erfahrungen wird man da machen?

Lienhard Valentin: Das wird sicher ein bisschen unterschiedlich sein. Aber es ist schon einfach die Erfahrung, dass wir normalerweise spontan automatisch reagieren. Wahrscheinlich haben sie schon mal von Viktor Frankl gehört, der gesagt hat „zwischen Reiz und Reaktion gibt es einen Raum.“ Und das ist der Raum, sozusagen der Achtsamkeitsraum, wo ich dann Entscheidungen treffen kann, wo eigentlich die Freiheit des Menschen eintritt, reagiere ich auf den automatischen Impuls oder warte ich mal ab und gucke, was fühlt sich denn jetzt wirklich stimmig an für diese Situation.

Wir sind einfach so wahnsinnig schnell mit Gedanken dabei, eine Situation zu interpretieren und reagieren gar nicht auf die Situation, sondern auf unsere Interpretation. Eine Kollegin von mir, die Seminare mit Eltern von Säuglingen ab drei Monaten macht, hatte in einem Kurs einen Vater von einem drei Monate alten Jungen und der kam beim 2. oder 3. Treffen und sagte „So jetzt fängt er an uns zu manipulieren.“ Sie sagte „Aha interessant, was ist denn passiert?“ Da sagt er „Er ist dreimal aufgewacht und hat dreimal geschrien.“ Wenn ich jetzt dieser Interpretation glaube, dann kann man sich leicht vorstellen, was das für die ganze Beziehung bedeutet. Ein 3 Monate alter Junge manipuliert. Also wenn wir jetzt z.B. innehalten und sagen, bevor wir interpretieren, beschreiben wir doch einfach mal nur wirklich das, was auch eine neutrale Kamera beschreiben würde. Das heißt, das Kind wacht dreimal auf, es weint dreimal und der Vater ist genervt. Das ist alles. Das Manipulieren ist eine Interpretation. Wenn wir so schnell reagieren, dann merken wir gar nicht mehr, dass wir vielleicht schon auf einer völlig falschen Spur sind, darauf reagieren, Schlüsse ziehen und uns Konsequenzen ausdenken, weil wir gar nicht wirklich die Situation gesehen haben, wie sie eigentlich ist. Und das ist eigentlich ein Hauptaspekt der Achtsamkeit: dass wir unterscheiden lernen, was nehme ich wirklich wahr und was ist eine Interpretation. Und die kann stimmen oder aber nicht. Und da hilft dieses Innehalten, mal abzuwägen – stimmt das überhaupt, ist da was dran bei dem Gedanken, der mir da kommt oder ist das nur eine Interpretation.

Christian: Das ist spannend. Und was wird passieren, wenn ich achtsam bin als Papa oder Mama? Was wird sich verändern? Kommen wir mal dazu wie man in der Erziehung noch konkret achtsam sein kann. Ich würde einfach mal verschiedene Punkte, die sie in ihrem Buch aufgeführt haben, näher beleuchten. Ich finde den Satz „Unser Kind ist vollkommen.“ extrem spannend. Das passt irgendwie auch nicht zu unserer Welt. Niemand ist ja vollkommen. Jetzt sagen Sie aber, wir sollen unser Kind als vollkommen ansehen. Warum ist das jetzt so hilfreich?

Lienhard Valentin: Es kommt immer ein bisschen auf die Sichtweise an. In dem Sinne vollkommen, wie es jeder Mensch ist. Vor dem buddhistischen Hintergrund ist es auch so, dass man Mitgefühl und Achtsamkeit eigentlich nicht in dem Sinne lernen muss, sondern es ist fast grundsätzlich menschlich und es geht mehr darum die Schleier, die das verbergen, die eben negative Gefühle, Stress zum Vorschein bringen – das die beseitigt werden, so dass diese innere Sonne, die immer da ist, überhaupt scheinen kann. Dabei, wie Maria Montessori gesagt hat, erfüllt sich dieser innere Bauplan der Seele. Sie hat sogar gesagt, dass mit jedem Kind Jesus Christus neu auf die Welt kommt.

Was wir damit meinen, ist, dass ein Kind kein unvollständiger Erwachsener ist. Also dass ein 1-jähriges Kind kein zurückgebliebenes 3-jähriges ist, sondern dass jede Phase seine eigene Gesetzmäßigkeit hat und in dem Sinne in sich selbst vollkommen. Es ist nicht mangelhaft oder irgendwie unfertig, sondern jede Entwicklungsstufe in sich hat ihren Wert und braucht auch ganz bestimmte Bedingungen, damit sich das Kind entsprechend entfalten kann.

Wie in jedem Lebewesen, in jeder Pflanze in sich der Bauplan enthalten ist – mit Informationen, was es werden möchte – ist es auch bei einem Kind so. Es braucht eben genau wie jeder andere lebende Organismus auch bestimmte Bedingungen, damit es sich entfalten kann. Da dass bei jedem Kind individuell ist, gibt es nicht das Konzeptbuch. Sie kommen ja nicht mit der Gebrauchsanleitung um den Hals auf die Welt, leider. Und deswegen braucht es von uns auch immer wieder diesen Respekt innezuhalten und zu gucken, was braucht denn dieses Kind? Wer ist es überhaupt und was braucht es, damit es sich entfalten kann? Wenn ich sage, das ist aber mangelhaft und ich muss es erst sozialisieren und muss es zum Menschen machen durch meine Erziehung, dann ist das schon mal problematisch.

Christian: Jetzt haben Sie gerade diesen Bauplan angesprochen. Das finde ich auch ziemlich entspannend. Jedes Kind hat einen inneren Bauplan, dem es folgt, d.h. ich muss nicht an dem Kind herumdoktern. Die Eltern machen sich ja oft Sorgen, jetzt kann mein Kind immer noch nicht laufen oder reden. Wenn ich mir das verinnerliche, dann kann ich ja eigentlich vollstes Vertrauen haben. Ist das auch das, was Sie damit aussagen möchten? Ich kann einfach vertrauen, dass wenn die Umgebung stimmen würde, mein Kind sich so entwickelt wie mein Kind sich entwickeln soll?

Lienhard Valentin: Jein. Es gibt von den Sufis, den Mystikern des Islam, einen Spruch „vertraue auf Gott, aber binde dein Kamel an den Pfosten.“ D.h. grundsätzlich ja, da kann ich nur wärmstens die Bücher von Prof. Remo Largo empfehlen, der auch gezeigt hat, wie extrem unterschiedlich es ist, wann Kinder was entwickeln, so dass man nicht gleich panisch wird, wenn es anscheinend etwas langsamer ist als andere. Natürlich wenn es jetzt sehr weit abweicht ist es schon wichtig, mal abchecken zu lassen, ob da vielleicht was nicht in Ordnung ist und ich muss mich darum kümmern. Deswegen würde ich sagen: blindes Vertrauen wäre auch nicht günstig, aber die Angst, die heutzutage verbreitet wird, wenn das eine Kind läuft und das andere noch nicht, ist nicht notwendig. Aber etwas mehr Gelassenheit wäre sowohl für Eltern auch als für Kinder sehr hilfreich. Da ist auch die Arbeit von Emiy Pikler „Lass mir Zeit“, diezeigt das auch ähnlich wie Remo Largo, dass es einfach eine Riesenbandbreite haben kann, wann ein Kind was entwickelt und das ist alles noch normal.

Christian: OK. Was Sie auch sagen, ist, dass die Eltern meistens, vielleicht auch ohne es zu wissen, einen ganzen Stall voll Erwartungen in sich haben, die dann auf das Kind projiziert werden und dann das Kind sich eigentlich gar nicht frei entwickeln kann. Viele Eltern sagen z.B. mein Kind soll es später mal besser haben als ich und Rechtsanwalt oder Arzt werden. Dadurch verliere ich ja den Blick auf das, was mein Kind wirklich braucht. Wie finde ich denn überhaupt meine Erwartungen? Gibt es eine Möglichkeit an diese Erwartungen heranzukommen und diese aufzudecken? Wann fange ich an, mein Kind irgendwie doch zu formen, was ich vielleicht eigentlich nicht unbedingt will?

Lienhard Valentin: Also ich denke zu einem gewissen Grad ist das unvermeidbar, dass wir Erwartungen haben. Ich denke, man muss auch realistisch bleiben. Es ist nur wichtig, diese zu bemerken. Also dass die nicht unbewusst zu sehr unser Tun beeinflussen. Die Schwierigkeit vor allem ist gar nicht so sehr die freie Entfaltung, sondern das Gefühl: ich bin so angenommen und geliebt wie ich bin. Die meisten von uns haben die Erfahrung gemacht, dass nur wenn wir gut in der Schule sind, wenn wir Leistung erbringen, bekommen wir Anerkennung. Liebe ist sozusagen sehr häufig abhängig von Leistung. So entsteht das Gefühl „ich bin an sich nicht gut genug“ und ein Dauerstress entsteht. Ich muss immer tolle Ergebnisse produzieren, wenn ich das nicht mache, dann entsteht schon wieder die Gefahr zu denken „bin ich denn jetzt überhaupt noch ok, wenn ich nicht ständig aktiv bin?“ und das führt dann irgendwann zum Burn Out. Das vergiftet eigentlich das Leben.

Die freie Entfaltung auch, aber das finde ich fast noch grundlegender. Mit der Zeit werde ich das dann schon merken, wann ist was relativ normal in der Entwicklung. Heutzutage wird ja schon im Kindergarten und in der Schule viel zu früh abstraktes mathematisches Wissen erwartet, wo das kindliche Gehirn noch gar nicht reif dafür ist. Das kann das eigentlich nicht entwickeln.

Es gab schon in den 70er Jahren ein Buch, das es heute leider nicht mehr gibt, von einem David Elkind, das heißt „Das gehetzte Kind“. Es wurde also schon in den 70er Jahren überprüft. In der Zeit wurden Kinder so viel gefördert, damit sie dann eben Anwalt oder an die guten Unis kommen. Die Kinder waren intellektuell den Gleichaltrigen eine Zeit lang voraus, aber auf anderen Ebenen, wie der sozialen oder körperlichen, zurück. Diese Kinder haben zum Teil mit 16 Herzinfarkte bekommen oder andere Krankheiten, weil dauernd etwas von ihnen erwartet wurde, was über ihrer Reife lag. Dauerstress führt eben auch zur Ausschüttung von Cortisol – dem Stresshormon – das schädigt das Immunsystem, das Verdauungssystem oder auch den Hypothalamus – der für Gedächtnis zuständig ist. D.h. wenn wir ständig von den Kindern etwas erwarten, was über ihre Reife geht, dann sind sie eigentlich in einem Dauerstress. Und im Bedrohungszustand kann ich nicht wirklich lernen und mich entwickeln.

Wir haben eigentlich als Menschen ganz natürlich das Bedürfnis uns zu entwickeln und über uns hinauszuwachsen. Jedes Kind hat in sich den Drang sich weiterzuentwickeln. Jedes Kind, das wir auf den Rücken gelegt haben, dreht sich vielleicht das erste Mal auf die Seite, kommt noch nicht zurück, beschwert sich, dann nehmen wir es auf, legen es wieder auf den Rücken. Die machen es wieder, obwohl es unangenehm ist. Wir müssen die nicht motivieren, lern laufen, du kannst nicht dein ganzes Leben lang auf dem Rücken liegen bleiben. Wir haben als Menschen diesen Drang uns zu entwickeln. Vielleicht ist das der innere Bauplan, den Maria Montessori meint.

Da braucht es dann unsere Wachheit und Präsenz, um zu sehen, was ist denn das, was die Kinder gerade machen wollen, was sie interessiert, wo die Augen leuchten, wo Faszination kommt, weil da findet dann Lernen statt. Wenn wir von ihnen aber Dinge verlangen, für die sie noch nicht reif sind, dann wird eher das Bedrohungssystem aktiviert und im bedrohten Zustand mussten wir für unsere Sicherheit sorgen. Kleine Hunde z.B., wenn die sich sicher fühlen, fangen sie an zu spielen, die Umwelt zu erkunden usw. aber sobald Gefahr droht, hört das auf, es ist kein Lernen, kein Wachsen, kein Spielen möglich, sondern dann müssen wir warten bis die Gefahr vorbei ist.

Dieses Gefühl sich sicher zu fühlen und die Möglichkeit zu haben zu spielen und zu entdecken, über sich hinauszuwachsen, das ist wichtig. Aber wenn das dann nie genug ist für die Eltern und sie ständig sagen „ich möchte lieber, dass du dies oder jenes machst“, dann verhindern sie vielleicht das, was sich natürlicherweise etwas später vielleicht entwickeln würde, weil sie dadurch einen Stress erzeugen, der unnötig ist.

Christian: Sie haben da so eine ganz tolle kurze Geschichte von einem Adler in dem Taubenschlag. Können Sie die mal kurz erzählen? Die fand ich total inspirierend.

Lienhard Valentin: Die kommt auch aus der Sufi-Tradition. Die Geschichte ist einfach, dass der schon ältere, ein bisschen kurzsichtige Mann einen Taubenschlag hat. Er erwischt irgendwann versehentlich einen jungen Adler und sagt „oh wie siehst du denn aus? Dein Schnabel ist viel zu lang und diese Krallen“ und stutzt ihn dann zusammen und setzt ihn  in den Taubenschlag. Er wächst dann mit den Tauben zusammen und wie eine Taube auf und fühlt sich chronisch unglücklich. Er weiß aber nicht warum, weil allen anderen Tauben scheint es gut zu gehen. Nur er scheint der einzige zu sein, der ein Problem hat. Dann gibt es 2 Varianten der Geschichte – die eine ist, dass er irgendwie ab und zu mal so einen Adler über dem Taubenschlag fliegen sieht und ihn so eine innere Sehnsucht erfasst und er fliegt irgendwann doch los. Und in der anderen bleibt er quasi als frustrierte Taube zurück. Was das beschreiben will, ist einfach auch, dass es unser tiefes Bedürfnis ist, als das gesehen und angenommen zu werden, was wir sind. Wir wollen nicht irgendwas vorspielen und die Erwartungen erfüllen, die aber gar nicht unserem Wesen entsprechen.

Ein Beispiel was ich in Seminaren auch gern verwende, ist, wenn Sie sich ein etwas wilderes Mädchen vor 200 Jahren vorstellen. Sie musste fast depressiv werden, weil in der Zeit hatten Mädchen immer sauber, brav und ruhig zu sein, d.h. die mussten so viel von ihrem Wesen wegstecken, um in der Kultur überleben zu können. Sie waren wahrscheinlich chronisch unglücklich. Pipi Langstrumpf war verboten in verschiedenen Ländern als es raus kam, weil ein Mädchen, was so ist, das geht einfach gar nicht. Das ist noch nicht so lange her, das muss man sich mal vorstellen.

Natürlich werden wir nie 100%ig das Wesen eines anderen Menschen verstehen können, aber man sollte einfach die Offenheit dafür entwickeln, immer wieder zu schauen: wer ist dieses Kind? Was interessiert es? Wo merkt man, da fangen die Augen an zu leuchten? – Da hat es Freude und dass wir diese Aktivitäten dann auch unterstützen, so lange es halt auch geht. Dass die Schule dann ähnliches macht, ist durchaus schwierig unter Umständen, aber so lange das auch parallel geht, sollten wir die echten Interessen eines Kindes unterstützen.

Christian: Also immer an den Adler denken, der da zurecht gestutzt wird, um etwas zu sein, was er eigentlich gar nicht ist.

Lienhard Valentin: Das trifft für mich ganz genau zu auf sehr viele so genannte ADHS-Kinder, die sind einfach flinke Hasen und müssen in den engen Schildkrötenkäfig – genannt Schule – leben und werden dabei verrückt, aber die sind nicht krank, die haben einfach einen natürlichen Bewegungsdrang – immer in der Menschheitsgeschichte gab es flinke Hasen, sie hatten eine wichtige Rolle, das waren die aktiven, aber in der heutigen Schulwelt gilt das als pathologisch. Es gibt sicher auch pathologische Fälle, aber die allermeisten von denen, die ich kenne, leben auf, wenn die in einer freien Umgebung sind. Sie sind kreativ und eben nicht krank. Das ist für mich so ein typisches Adler-Tauben – Beispiel.

Christian: Sie sagen, man hat die Möglichkeit sein Kind als Quell der Freude zu sehen, also wenn ich mich da jetzt reinspüre, dann kann ich ja eigentlich bzw. muss ich sofort anders mit meinen Kindern umgehen. Vielleicht können Sie das auch nochmal kurz ein bisschen näher erläutern, was Sie mit Quell der Freude meinen?

Lienhard Valentin: Durch diese Negativitätstendenz unseres Gehirns, bewertet unser Gehirn die schwierigen Situationen viel größer und sieht die Positiven zu wenig. Natürlich ist das Elternsein schwierig – wir haben weniger Schlaf – ist ja nicht so, als ob alles nur easy wäre, aber gleichzeitig bringt es uns die schönsten Elemente und Begebenheiten im Leben, die wir sonst kaum in dieser Tiefe empfinden und dem sollten wir einfach mehr Aufmerksamkeit schenken. Wir sollten sozusagen unser Gehirn trainieren, diese Elemente mehr wahrzunehmen. Laut der Forschung von Rick Hanson braucht eine positive Erfahrung zwischen 10 und 30 Sekunden, damit sie sich im Langzeitgedächtnis verankert, sonst rutschen die quasi durch und wir erlangen dieses freudvolle Gefühl dafür nicht.

Und das ist dass, was ich meinte, dass wir den freudigen Situationen, die ohnehin stattfinden, mehr Aufmerksamkeit schenken und auch Gelegenheiten suchen, wo können wir mit unseren Kindern Situationen schaffen, wo wir gemeinsame Freude erleben können. Also nicht, dass wir uns opfern müssen und nur das Kind Freude hat, sondern wie schaffen wir auch Gelegenheiten, wo wir gemeinsam was Schönes erleben können und das auch wirklich auskosten.

Christian: Sie haben auch noch eine Übung. Man versetzt sich einfach mal in sein Kind hinein und überlegt sich „wie sieht mein Kind mich? Wie hätte mein Kind mich gerne? Wie hätte mein Kind gerne die Umgebung?“ Wie funktioniert das? Und was wird diese Übung bewirken?

Lienhard Valentin: Das ist eine Übung, die aus der Gestaltpädagogik kommt. Wir sollten uns einfach mal in eins unserer Kinder hineinversetzen. Dann bemerken wir plötzlich ganz andere Sachen. Es gibt ja so diesen Satz von den Indianern: „man soll erst so und so viele Meilen in den Mokassins eines anderen gehen, bevor man ein Urteil fällt.“ Aber das kann eine wunderbare Übung sein, um das Einfühlungsvermögen zu stärken und zu gucken, wie geht es dem Kind eigentlich? Wir spielen die Situation als unser Kind durch, um uns hineinzuversetzen und besser nachempfinden zu können – wie geht es dem Kind? Was erlebt es gerade? Das muss nicht funktionieren, aber das kann funktionieren. Es kann sein, dass man dafür auch mal einen erfahrenen Wegbegleiter braucht, der das dann noch ein bisschen lenkt.

Ich habe z.B. einmal in einem Kurs eine Mutter gehabt und da war das Thema, dass der Sohn morgens immer nicht fertig wird. Er kommt immer zu spät und trödelt zum Frühstück. Dann habe ich ihr einfach mal gesagt, sie soll uns doch mal das Prozedere am Morgen aus der Perspektive des Sohns erzählen. Sie fing an: Ich wache auf. Es geht mir super. Ich zieh mich an und geh die Treppe runter – oh das Wasserglas! Jetzt stellte sich heraus, sie hatte die Idee für die Gesundheit, dass er, bevor er überhaupt zum Frühstück kommt, ein richtig großes Glas Wasser trinken soll. Da hat sie sehr dran festgehalten. Über Nachdenken wäre sie da nie darauf gekommen. Aber durch das Reinversetzen und Nachspielen kam ihr das. Und beim nächsten Treffen habe ich dann gefragt, wie ist es und da sagt sie: jetzt ist es nur noch ein halbes Glas. Der ganze Kurs hat mitgelacht, sie hat doch noch an der Idee festgehalten.

Neurobiologen würden vielleicht sagen, dass das durch die Spiegelneuronen passiert. Wir können uns in eine andere Person reinversetzen. Das ist mehr ein intuitiver Zugang und nicht so sehr über den Kopf wie das Nachdenken. Damit laden wir sozusagen unsere Intuition ein, ein Gespür dafür zu bekommen– wie geht es dem Kind.

Christian: Ich find‘s auch spannend mir vorzustellen, wie meine Söhne mich wohl in einer Situation erleben. Wenn ich mich versuche hineinzuversetzen, kann ich mir vorstellen, dass das auch unangenehm werden kann. Das fand ich da auch ganz interessant. Gerade diese Empathie ist ja wichtig. Sagen Sie, dass unser Kind überhaupt erst Empathie lernen kann, wenn man es vorlebt?

Lienhard Valentin: Wenn sie es erfahren. Es ist nicht so sehr das Vorleben, sondern sie müssen es selbst erfahren. Man kann es nicht durch Predigen beibringen. Es entwickelt sich ganz natürlich durch konkrete Erfahrung. So wie die Sprache sich natürlich entwickelt. Kinder würden auch nicht die Sprache lernen, wenn sie sie nicht hören. So ähnlich ist das mit Mitgefühl, das entwickelt sich natürlich, wenn sie es erfahren.

Wir haben z.B. eine Empfehlung für Eltern, wenn es regelmäßig wiederkehrende Konfliktsituationen gibt. Das man sich dann in einem ruhigen Moment zusammensetzt. Nicht in der Konfliktsituation, wenn in uns jeweils die Keulenmenschen am Ruder sind, denn wenn wir im Stress sind, ist die Wahrscheinlichkeit sehr gering, dass wir zu einer konstruktiven Lösung finden. Die Wahrscheinlichkeit ist am größten, wenn alle Beteiligten weitestgehend entspannt sind und der mitfühlende, empathische Teil bei uns am Steuer sitzt. Das gilt auch für Partnerthemen. Wenn wir emotional geladen sind, dann werden wir kaum in der Lage sein, uns in die Perspektive des Anderen zu versetzen, sondern wir sind dabei, unseren Standpunkt zu verteidigen und durchzusetzen. D.h. wenn wir uns auch mit Kindern zusammensetzen, ist es wichtig, dass alle Beteiligten in einem weitestgehend entspannten Zustand sind. Mit 4 oder 5 Jahren kann man anfangen dann zum Beispiel chronische Situationen, wie z.B. sie drängeln immer, weil sie zu langsam sind, nachzuspielen. Laden Sie ihren Sohn ein, mal Sie zu spielen, wie Sie sind. Das ist sehr amüsant, die sind meistens verdammt gut darin. Und das wichtigste daran ist, dass es schon mal Humor in die Situation bringt. Das ist immer hilfreich. Sie lernen dadurch, wenn es Konflikte gibt, setzt sich nicht der durch, der die meiste Macht hat, weil das lernen sie schnell, sondern wenn es Konflikte gibt, setzen wir uns zusammen und schauen wie wir damit umgehen.

Dann kann man sie mit einladen zu gucken, was machen wir denn in der Situation? Ein Beispiel: Es gibt ein Buch, was ich wirklich ganz besonders schätze, das heißt „Liebe und Eigenständigkeit“ von Alfie Kohn. Der hat beschrieben, als seine Tochter 5 war, da ging sie eigentlich gern in den Kindergarten, aber war nie rechtzeitig fertig. Und sie haben dann immer rumgemeckert und irgendwann sagte seine Frau zu ihm „sag mal was würde eigentlich Alfi Kohn sagen, wie wir uns hier aufführen?“ Und dann haben sie eine Weile hin- und herüberlegt und irgendwann sagt die Tochter dann: „na wisst ihr, was Zeit braucht, ist eigentlich das Anziehen. Ich schlag vor, dass ich mein Zeug für den Tag schon am Abend anziehe, dann brauch ich morgens nicht so lange.“ Dann haben sie das Innehalten praktiziert, so dass sie nicht gleich automatisch nein sagen, sondern sich zu fragen, warum eigentlich nicht. Dann haben sie es gemacht und dann war das so gut wie nie mehr ein Problem. Das wichtigste finde ich nicht die Lösung, die kommt, sondern dass die Kinder dann lernen, dass sich in Konfliktsituationen nicht der Stärkere durchsetzt, sondern dass gemeinsam ein Weg gefunden wird und das ist eine Lektion, die ich gerne den Kindern vermitteln möchte für ihr Leben.

Christian: Vielen Dank! Gibt es noch irgendetwas was wir den Zuschauern mitgeben sollten, was wir jetzt bislang nicht besprochen haben?

Lienhard Valentin: Das Ganze ist natürlich ein Never Ending Thema und die Achtsamkeitspraxis hat ein bisschen was von einer Mango – also man kann stundenlang erzählen, aber ob sie einem schmeckt oder nicht,  dafür muss man sie probieren. Und reden über Achtsamkeit ist noch keine Achtsamkeit also insofern, wenn jemand überhaupt neugierig ist auf sowas, gibt es reichlich Literatur –in Bezug auf Eltern entweder das Buch von mir „Die Kunst, gelassen zu erziehen“, das „Mit Kindern wachsen“ Buch oder auf den Websites mit-kindern-wachsen.de und arbor-verlag.de. Dann kann man da mal gucken oder schauen, ob es irgendwo diese 8-Wochen Kurse gibt. Es gibt auch CDs mit Übungen, wo man erstmal ausprobieren kann, wie ist das überhaupt damit. Weil auch ich der Überzeugung bin, dass es nicht für jeden etwas ist. Ich glaube es gibt keinen Weg, der für jeden geeignet ist und wir hatten zwar die Erfahrung gemacht, dass das für sehr viele eine große Hilfe sein kann, gelassener zu werden in ihrem Alltag, aber es passt eben auch nicht für alle. Und insofern hoffe ich höchstens, dass es ein bisschen den Appetit anregt, sich mal ein bisschen umzuschauen und zu probieren.

Christian: Ich find‘s auf jeden Fall super spannend und kann nur bestätigen, dass es bei mir funktioniert. Das einzige, was ich jetzt festgestellt habe, ist, dass man am Anfang natürlich nach der Lektüre eines Buches die ersten paar Tage total enthusiastisch ist und dann kommt irgendwie der Alltag und legt sich da drüber. Deswegen haben sie auch jetzt abschließend in ihrem Buch diese 10 Absichtserklärungen- wie möchte man in Zukunft mit sich und seinem Kind umgehen. Zum Beispiel „Ich knüpfe meine Zuwendung und Liebe nicht an Bedingungen.“ und „Ich nehme so oft wie möglich die Perspektive meines Kindes ein und sehe die Welt aus seiner Sicht.“ und noch 8 weitere. Einen konkreten Vorschlag, wie so was aussehen könnte, haben wir hier als PDF zum Download. Finde ich klasse, wenn man da vielleicht einmal in der Woche oder alle paar Tage mal reinschaut und sich wieder zurück auf den Weg holt. Vielen Dank Herr Valentin dafür.

Lienhard Valentin: Man kann sich auch gerne die Freiheit nehmen und das abwandeln, so dass es wirklich für sich persönlich abgestimmt ist. Eine Übung, die wir zum Teil in Kursen machen ist, dass man sich selbst vorstellt, dass man zurück auf die heutige Zeit schaut – was möchte ich da sehen? Was erfüllt mich mit Zufriedenheit? Wie möchte ich diese Zeit mit meinen Kindern verbracht haben? Was ist mir da wirklich wichtig? Was sind meine ganz persönlichen Werte und mein innerer roter Faden? Das sollte man dann auch aufschreiben, da kommen dann vielleicht noch andere Punkte dazu, die bei den 10 Punkten gar nicht dabei sind oder es fallen auch welche weg. Es ist also mehr als Anregung gedacht und natürlich schon als Sinn, aber ich finde es sehr wichtig, dass es für einen persönlich stimmen muss. Wenn es was Aufgesetztes ist, dann kann man es auch bleiben lassen.

Christian: Klar! Aber auf jeden Fall eine Inspiration, das was Sie da schon aufgeschrieben haben. Herr Valentin, vielen vielen Dank für diese Inspiration.

Webinartipp: Freiheit & Grenzen

Wenn Dir das Interview gefallen hat, empfehlen wir Dir die Aufzeichnung unseres beliebten Webinars “Achtsam & liebevoll Grenzen setzen & Freiheit geben” – auch mit Lienhard Valentin!

>> Zur Webinar-Aufzeichnung <<

Natürlich geht es auch hierin um Achtsamkeit – mit dem Fokus darauf, wie wir als Eltern achtsam Grenzen setzen können ohne dabei unsere Kinder in ihrer Entwicklung zu behindern, ohne zu viele Neins und ohne laufend Konflikte zu provozieren.

Die Aussagen unserer Interviewpartner/Vortragenden/Autoren stellen deren Meinung, Wissensstand und Erfahrung dar. Eine Anwendung erfolgt auf eigene Verantwortung. Weder wir noch die Interviewpartner/Vortragenden/Autoren übernehmen eine Haftung für persönliche oder sonstige Schäden oder Risiken, die sich als direkte oder indirekte Folge der Nutzung und Anwendung der Interview-/Vortrags-/Artikel-Inhalte ergeben. Bitte konsultiere einen Arzt oder einen anderen kompetenten Ratgeber Deines Vertrauens, bevor Du irgendwelche Vorschläge der Interviews/Vorträge/Artikel umsetzt.

Von Published On: 8. August 2018

About the Author: Christian

Christian Clemens
Christian ist der Kapitän der Glücksknirpse – und auch der Maschinist an Bord. Zusammen mit KIKI hält er das Projekt auf Kurs und spinnt ständig an neuen Ideen dafür. Er setzt diese auch um, egal ob als Autor, Interviewender, Kurscreator, Eventmanager uvm. Christian war einst ein ziemlich gestresster Seemann und hat daher eine Menge Erfahrung darin, die wilde See im Kopf zu beruhigen. Diese hat er zu seiner Leidenschaft gemacht und hilft Eltern (und auch Kindern) mit Buddha@Family zu kleinen Buddhas zu werden 🙂 Also voller Gelassenheit, Zufriedenheit & innerem Frieden – und mit so wenig Stress wie möglich. Außerdem schlägt sein Herz für gesunde Ernährung, Freisein und artgerechtes Wachsen & Leben für dauerhafte Gesundheit bis ins hohe Alter. Damit wir (und unsere Kinder) auch mit 100 noch mit unseren (ihren) Urenkeln in den Bergen wandern und ihnen Karate beibringen können 🙂
Kommentarer abonnieren
Benachrichtung bei
guest
1 Kommentar
Neuste zuerst
Älteste zuerst nach Bewertungen
Inline Feedbacks
View all comments